Hanna Schygulla – Veranstaltungsrückblick

„Guten Morgen, du Schöne“

Hanna Schygulla liest Maxi Wander in Edenkoben

Der Edenkobener Kulturverein brachte in Kooperation mit dem Freundeskreis Bücherstadt zwei Kultfiguren in die Südpfalz: Hanna Schygulla und Maxi Wander.

Am 5. Juni kamen im Kurpfalzsaal zu Edenkoben zwei bemerkenswerte Frauen zusammen: Hanna Schygulla, die Ikone des jungen deutschen Films der 60er und 70er Jahre, und die 1977 im Alter von 44 Jahren an Krebs gestorbene DDR-Autorin Maxi Wander. Über hundert aufmerksame Zuhörer wurden Zeuge einer geradezu symbiotischen posthumen Beziehung. Mit ihrem bekannt lakonischen Vortragsstil, den Hanna Schygulla in den 60er Jahren in der Zusammenarbeit mit Rainer Werner Fassbinder kultivierte, gab sie Maxi Wander eine Stimme, die deren intensiven Texten eine geradezu räumliche Dimension verlieh.

Fast schon beschwörend zitierte Schygulla zwei Beiträge aus den Interview-Protokollen “Guten Morgen, du Schöne“. Eine Wissenschaftlerin und eine Sekretärin denken laut über das Erreichte und das Verpasste nach, über Wünsche, Ziele, Erfolge, Enttäuschungen. Was erwartet man vom Leben? Was darf man überhaupt erwarten? Es geht um Karriere, Kinder, Familie, Gesellschaft, Beziehungen, Männer im Allgemeinen und im Besonderen, und natürlich um Sex. Eben einfach ums Leben. Das Buch war ein Renner und innerhalb kürzester Zeit vergriffen.

Unaufgeregt, aber mit gewohnt starker Bühnenpräsenz verführt Hanna Schygulla dazu, die Augen zu schließen und sich ein inneres Bild von diesen Frauen zu machen. Unbewegt bewegend gibt sie ihnen Gestalt und Ausdruck und transportiert die Faszination des Alltäglichen, die diese Protokolle zum Bestseller werden ließen.

Ein bisschen etwas erfahren wir auch über Maxi Wander selbst. Hanna Schygulla liest aus der Biographie von Sabine Zurmühl „Das Leben, dieser Augenblick“ und aus

den Tagebüchern und Briefen, die ihr Mann nach dem frühen Tod seiner Frau herausgab. 1933 in Wien als Kind einer kommunistischen Arbeiterfamilie geboren, lebte sie von 1958 bis zu ihrem Tod 1977 mit ihrem Mann, dem österreichischen Schriftsteller Fred Wander, in der DDR. Während er dort Karriere machte, schrieb sie für die Schublade. Erst mit den Tonband-Protokollen von 17 Interviews mit Frauen wagte sie den Schritt in die Öffentlichkeit und landete auf Anhieb einen Bestseller. Ein Jahr später war sie tot.

Als unbestechliche Chronistin des real existierenden sozialistischen Privatlebens beschrieb sie in ihren Tagebüchern den Alltag entlang ihres eigenen Lebens. Hanna Schygulla wählte aus diesen Notizen die Schilderung eines Krankenhausaufenthaltes, die trotz oder gerade wegen ihrer vermeintlichen Sachlichkeit zu einem Dokument höchster Intimität wird. Fast möchte man aus Höflichkeit weghören, ertappt sich dann aber doch mit dem Ohr am Schlüsselloch. Zu groß ist die Verlockung, teilzuhaben an den Gedanken eines wachen Geistes, der sich und seine Umgebung in einer Weise reflektiert, die auch privateste Erfahrungen vermittelbar macht.

Ergänzt wurde der Leseabend durch einen Kurzfilm des Magdeburger Filmemachers Michael Blume, der sich auf seine eigene Weise den Texten Wanders nähert. 1980 drehte der damalige Kamera-Assistent den Kurzfilm „…es wird jemand kommen, der Ja zu mir sagt“ nach einem Text aus den Interview-Protokollen. In prosaischem Schwarzweiß, dem spröden Charme der frühen Fassbinderfilme nicht unähnlich, sinniert die 22jährige Kellnerin Ruth über ihr Leben. Sie hat immer eine Zuhörerin, denkt aber eigentlich nur laut über sich und ihr Leben nach und zieht angesichts ihrer Jugend ein eher trostloses Resümee. „Alle laden sie bei mir ab, da kommt keiner auf die Idee, dass auch ich meine Probleme habe“. Dieser Satz hätte auch von Maxi Wander stammen können. (WoHe)

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